Wenn eine etwas reifere, im gesellschaftlichen Mittelpunkt stehende Frau sich in der heutigen Zeit in einen deutlich jüngeren Mann verliebt und sich dann auch noch entschließt, ihr Leben mit ihm zu teilen, wird sich möglicherweise keiner mehr groß darüber wundern oder sie dafür verurteilen. Solche wie auch andere Ausdrucksformen der weiblichen Emanzipation gehören in unserer Zeit – ob nun auf der Theaterbühne oder im realen Leben – längst zum Alltag. Nicht nur zahlreiche Hollywoodstars führen uns dies beinahe täglich vor Augen, sondern auch andere prominente Persönlichkeiten.
Im Jahr 1961, als Rodion Shchedrin seine erste Oper „Nicht nur Liebe“ komponierte, sah die Welt allerdings noch anders aus. Vor allem in der damaligen kommunistischen Sowjetunion, die sich vor jeglicher Zurschaustellung von Sexualität auf der Bühne wie vor einer ansteckenden Krankheit fürchtete, wie es nun mal in Shchedrins Oper vorkam. Sie spielt in einer sowjetischen Kolchose nach dem zweiten Weltkrieg, in einer Zeit, die von einem „Männermangel“ gekennzeichnet war, so dass die Frauen daher auf sich gestellt, die gesamte Last des Alltags schultern mussten. So auch die Protagonistin der Oper Warwara, eine willensstarke Frau mittleren Alters, die dazu auch noch die örtliche Kolchose leitete und damit eine Vorbildfunktion im Dorf innehatte. Als sie dann eines Tages auf den durchreisenden 17-jährigen Burschen Wolodja trifft, überwältigt sie die Sehnsucht nach Liebe und die Lust sich hinzugeben, und zwar in einer Intensität, die sie bis dahin noch nicht kannte und schwer unterdrücken konnte.
Zwar wurde die Uraufführung der Oper von der Direktion des Bolschoi-Theaters, wo sie auch im gleichen Jahr über die Bühne ging, genehmigt, aber gleich danach, vom Spielplan genommen und durch Verdis „Traviata“ ersetzt. Selbst die findigen Eingriffe der Regie, die sexuelle Spannung in der Oper weitestgehend zu entschärfen, halfen dabei nicht weiter. Im Gegenteil. Durch die vorgenommenen Veränderungen erfuhr das Werk derart starke Einschnitte, dass seine zentrale Idee, nämlich die Darstellung des ungezwungenen und vertrauten Landlebens und überhaupt „die ganze freudsche Motivik“ – um hier den Komponisten zu Wort kommen zu lassen –, völlig verloren ging.
In diesem Jahr, nach mehr als einem halben Jahrhundert nach der Uraufführung, unternahm der bekannte russische Regisseur Juri Alexandrow den Versuch, die ursprüngliche Leitidee des Werkes in seiner Inszenierung aufzugreifen, und das auch mit Erfolg. Im Staatlichen Kammermusiktheater „Saint-Petersburg Opera“ fanden unter großem medialen Echo bereits die ersten drei Vorstellungen des Werkes statt. Die nächsten Aufführungen sind für den 16. und 17. Mai vorgesehen (siehe hierzu die Webseite des Theaters: http://www.spbopera.ru/en/repertoire/current/page-264/)